Sagenforschung

Sagenforschung

Sage vs. Märchen

Verschiedene Gattungen voneinander abzugrenzen ist nicht immer einfach. Hier soll die Definition von Märchen im Gegensatz zu Sagen genauer betrachtet werden. Der Begriff ‚Märchen‘ ist der Diminutiv zur ‚Mär‘. Diese bezeichnet eine Kunde, Erzählung, einen Bericht oder ein Gerücht. Im ursprünglichen Sinne bezeichnet ‚Märchen‘ eine unwahre Geschichte, die sich aus literaturwissenschaftlicher Sicht jedoch einer „beobachtete[n] und imaginierte[n] Wirklichkeit bedient. Seit Ende des 18. Jahrhunderts hat sich der Begriff vor allem zur Bezeichnung von Volksmärchen etabliert. Jene sind entgegen der allgemeinen Auffassung nicht nur mündlich tradiert, sondern haben ihren Ursprung aus der Feder eines Autors. Ein Märchen zeichnet sich durch eine einsträngige Handlung ohne Orts- und Zeitangaben aus und die Figuren erscheinen „eindimensional“ (gut – böse, schlau – dumm). Außerdem sind sie sprachlich einfach gehalten und die Handlung steuert aus einem Problem heraus stets auf ein gutes Ende zu.

Die Sage grenzt sich vom Märchen ab, indem sie „Wunderbares oder Übernatürliches“ beinhaltet. Sie bezieht sich auf einen konkreten Handlungsort, ist als ortsgebunden. Zudem wird ihrem Inhalt ein Körnchen Wahrheit nicht abgesprochen. Dieses entsteht durch Bezüge zur Vergangenheit. Dadurch will die Sage als wahr erscheinen („subjektive Glaubwürdigkeit“). Diesen Anspruch erhebt das Märchen nicht. Wiedergegeben wird die Sage meist mündlich.

S. Neuhaus, „Märchen“, 2., überarbeitete Auflage, Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag, 2017, S. 3-7.

L. Petzoldt, „Einführung in die Sagenforschung“, 3. Auflage, Konstanz: UVK-Verlagsgesellschaft, 2002, S. 43-46

Die Sagenforschung im 19 Jhd.

Durch die Brüder Grimm angestoßen, wurden in der Mitte des 19. Jahrhunderts europaweit Volkslieder, Märchen und Sagen zusammengetragen. Dabei standen jedoch die Märchen im Vordergrund, die durch ihren überdauernden Symbolgehalt reizvoll sind. Ausschlaggebend für die Sagensammlungen waren auch die Romantiker Achim von Arnim sowie Clemens Brentano. Letzterem half Jacob Grimm bei seinen Forschungen und begann dabei mit der Sammlung von Volksbüchern. 1816 bis 1818 erschienen Deutsche Sagen, herausgegeben von den Brüdern Grimm. Dabei betonten sie zwar den Wert der inhaltlich getreuen Wiedergabe der Volkspoesie, hielten sich jedoch nicht strikt daran.

Die genauere Betrachtung der Sagenbücher, insbesondere ihrer Vorworte, legt nahe, dass die Sammlungen zusammengetragen wurden, um historisches und anthropologisches Wissen zu erlangen. Die Annahme war, dass daraus die Geschichte des „gemeinen Volkes” bis zurück in die Antike zu rekonstruieren sei. Neben gemeinsamer Sprache wurde also auch eine „Sagenwelt“ erschaffen, die das „Volk“ als Einheit darstellte, um damit den Nationalstaat zu begründen.

L. Petzoldt, „Einführung in die Sagenforschung“, 3. Auflage, Konstanz: UVK-Verlagsgesellschaft, 2002, S. 7-40